„Viele positive Gänsehautmomente“

Ausgerüstet mit einem Spendenscheck, machen sich Elsbeth Rommel und Martin Sailer von der Bürgerstiftung Mühlacker ein Bild davon, wie es rund sieben Monate nach der Flut in Ahrweiler aussieht.

Von Bürgerstiftung zu Bürgerstiftung: Elsbeth Rommel (v.li.) und Martin Sailer aus Mühlacker übergeben eine Spende an Bruno Jaeger und Thomas Theisen. Fotos: Deeg
Von Bürgerstiftung zu Bürgerstiftung: Elsbeth Rommel (v.li.) und Martin Sailer aus Mühlacker übergeben eine Spende an Bruno Jaeger und Thomas Theisen. Fotos: Deeg

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ein Sanitätshaus im Bus oder eine Apotheke im Container: Noch immer müssen viele Einzelhändler in Bad Neuenahr-Ahrweiler die Zeit überbrücken, bis ihre Räumlichkeiten wieder nutzbar sind. Denn zahlreiche Ladengeschäfte und Erdgeschosswohnungen sind auch sieben Monate nach der Flut noch nicht saniert.

Elsbeth Rommel und Martin Sailer, die sich beide im Vorstand der Bürgerstiftung Mühlacker engagieren, haben sich in dieser Woche ein Bild vor Ort gemacht. Im Gepäck hatten sie einen Spendenscheck in Höhe von 11000 Euro und einen Brief von Mühlackers Oberbürgermeister Frank Schneider. Im Brief berichtete Schneider unter anderem vom Hochwasser im Dezember 1993 in Mühlacker. Das Schreiben und der Scheck wurden in Ahrweiler an die Bürgerstiftung der Volksbank RheinAhrEifel übergeben. Nach einer ersten Kontaktaufnahme mit Stiftungsmanager Bruno Jaeger habe sich das Gefühl bestätigt, dass es richtig sei, von Bürgerstiftung zu Bürgerstiftung zu spenden. „Uns war wichtig, dass das Geld, das uns 55 Spender anvertraut haben, ohne Abzüge zum Wohle der Menschen eingesetzt wird“, betont Elsbeth Rommel. Genau diesen Ansatz würden Bruno Jaeger und sein Team verfolgen.

In Bad Neuenahr haben der Stiftungsmanager und Volksbank-Direktor Thomas Theisen nicht nur dankbar die Spende entgegengenommen, sondern auch Einblicke in ihre Arbeit gegeben. Zudem nahm Bruno Jaeger sich noch die Zeit, um die Gäste aus Mühlacker an einige markante Flut- und Hochwasserstellen zu führen. Insgesamt hat die Bürgerstiftung in den vergangenen Monaten rund fünfeinhalb Millionen Euro Spenden eingenommen und davon bereits über vier Millionen Euro ausgeschüttet.

Die Spende der Bürgerstiftung Mühlacker ist indes nicht die erste aus dem Enzkreis, die den Menschen in den Katastrophengebieten nach der Flut vom Juli vergangenen Jahres zugutekommt. Auch Enzkreis-Landrat Bastian Rosenau hatte zur Solidaritätsaktion aufgerufen. Ebenso haben beispielsweise die Rotarier aus Mühlacker und dem Enzkreis Spenden gesammelt. Direkt nach der Flut waren zudem zahlreiche Helfer aus der Region im Ahrtal im Einsatz.

Anfänglich, erklärt Bruno Jaeger, habe man die Bürgermeister vor Ort mit Geldern bedacht, „weil die sofort wussten, wo sie es am dringendsten einsetzen konnten“. Dabei wurden die Bürgermeister, die ihre Ämter zu großen Teilen im Ehrenamt ausübten, über Nacht quasi zu Hauptamtlichen. „Ein Stiftungsmitglied von uns ist ehrenamtlicher Bürgermeister. Sein Haus war ebenfalls betroffen. Dennoch war sein Motto, dass es nun nicht um seine Familie, sondern sein Dorf ginge“, berichten Jaeger und Theisen beispielhaft. An den Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler hat die Stiftung bisher 770 000 Euro für „Projekte und von der Flut betroffene Einwohner“ ausbezahlt. 701 000 Euro wurden für denselben Zweck an die Verbandsgemeinde Altenahr überwiesen. Die Handwerkskammer wurde mit 250 000 Euro unterstützt, damit Elektromaterial für die Wiederherstellung der Stromversorgung an Privathäusern gekauft werden konnte. „Uns hat ein Anruf erreicht, dass Techniker vor Ort seien, das Material aber zur Neige gegangen ist“, erklärt Thomas Theisen. Binnen weniger Stunden konnte dank der Bürgerstiftung dieser Materialengpass beseitigt werden.

Inzwischen sei der soziale Sektor ein wichtiger Bereich für Zuwendungen seitens der Bürgerstiftung. So habe man wieder die ersten Spielplätze aufgebaut oder unterstütze Initiativen, die sich um Kinder und Jugendliche kümmern. „Da kann man mit vergleichsweise wenig Geld eine Menge bewirken“, weiß Jaeger, „die Initiativen und Vereine sind über eine Zuwendung von 3000 oder 5000 Euro oft unendlich dankbar.“ Ein Beispiel für das Engagement der Bürgerstiftung ist der fertigsanierte Spielplatz in der Schillerstraße, der an diesem Nachmittag trotz nass-feuchten Wetters von mehreren Familien genutzt worden ist.

„Es gibt so viele positive Gänsehautmomente“, betont Volksbank-Direktor Thomas Theisen im Rückblick auf die Monate nach der Flutkatastrophe. Zahllose Menschen hätten wochen- und monatelang angepackt. „Wir sind gerade in der Auswahlphase für unseren Bürgerpreis“, lässt Bruno Jaeger durchblicken, dass ihnen eine schwierige Entscheidung ins Haus steht. Es seien insbesondere die Jüngeren gewesen, die ohne zu fragen geholfen hätten. „Dadurch wurden mit Sicherheit viele Vorurteile über Bord geworden“, so Theisen. Auch jetzt, sieben Monate nach der Naturkatastrophe, seien noch immer Helfer vor Ort.

„Manche Dörfer erkenne ich auf dem Weg zur Arbeit nicht mehr“, sagt Theisen. Häuser, die früher in dritter oder vierter Reihe gestanden hätten, seien heute in der ersten. „Wir werden im Tal noch viel psychologische Hilfe benötigen und noch zahlreiche Traumata aufarbeiten müssen“, mutmaßt er weiter. Die Ahr führt nach den vielen Regenfällen der vergangenen Tage wieder mehr Wasser als gewöhnlich. Bei einigen Menschen sorge das schon wieder für ein mulmiges Gefühl, bestätigt Bruno Jaeger. In der Woche, in der die Flut kam, hatte er Urlaub. Dann klingelte sein Telefon, seither ist das Management der Stiftung mehr als ein Vollzeitjob. Er bestätigt nicht nur den Menschen im Ahrtal, sondern der ganzen Gesellschaft: „Da ist eine ungeheure Solidarität entstanden.“

(Mühlacker Tagblatt vom 12.02.2022, Text u. Foto: Ramona Deeg)